Interview mit Sam Tanson im Luxemburger Wort

"Den Künstlern einen besseren Rahmen geben, um sie zu schützen"

Interview: Luxemburger Wort (Anina Valle Thiele)

Luxemburger Wort: Sam Tanson, Sie sind seit 2018 Kulturministerin, haben sich den Kulturentwicklungsplan (KEP) auf die Fahnen geschrieben und vor Kurzem eine "Erfolgsbilanz" präsentiert, wonach Sie zur Halbzeit 60 Prozent seiner Ziele erfüllt haben. Im d'Lëtzebuerger Land sagten Sie, dass Sie gern Kulturministerin bleiben würden, weil Sie genau wüssten, was als Nächstes zu tun wäre?

Sam Tanson: Nicht nur, weil ich wüsste, was zu tun wäre, sondern weil es eine unglaublich schöne Aufgabe ist, den nötigen Rahmen zu setzen, damit die Künstler und Kulturinstitutionen in Luxemburg sich frei entfalten können. An sich haben wir mit dem KEP eine Art Kompass. Wir haben effektiv 60 Prozent umgesetzt; es bleiben also 40 Prozent. Eigentlich geht es darum, das zu verstetigen, was wir in den letzten Jahren versucht haben umzusetzen, nämlich Kunstschaffende zu stärken, ihnen mehr Mittel zu geben, damit sie frei arbeiten können. Auf der anderen Seite sind es eine Reihe Infrastrukturprojekte, die anstehen und wo wir aktiv dran arbeiten. Es ist das schönste Ministerium, das man sich vorstellen kann.

Luxemburger Wort: Der Kulturetat ist im Vergleich zur vorangehenden Legislaturperiode um 26 Prozent gestiegen und beträgt dieses Jahr 183 Millionen Euro - macht damit aber immer noch weniger als ein Prozent der Staatsfinanzen aus. Ist da noch Luft nach oben?

Sam Tanson: Immer. Es ist wichtig, dass wir weiterhin ambitioniert sind. Je mehr Budget wir haben, desto mehr bekommen die Kulturhäuser natürlich auch für ihre Kreationen. Man darf nicht vergessen, der ganze kulturelle Sektor hat auch einen ökonomischen Impakt. Das ist auch eine Investition in Luxemburg. Was nicht in unserem Budget drinsteht, sind die Infrastrukturprojekte, die meist über das Budget von der Verwaltung für öffentliche Bauten laufen. Doch ich finde es extrem wichtig, dass wir weiterhin konsequent in Kulturpolitik investieren.

Luxemburger Wort: Welche Rolle spielen denn die Konventionen? Das Kulturministerium hat ja 2023 deutlich mehr Abkommen mit Kulturakteuren abgeschlossen als noch 2018: Damals unterhielt es 49 Konventionen, dieses Jahr sind es 125 in Höhe von knapp 75 Millionen Euro...

Sam Tanson: Ja, wir haben eine Erhöhung von 155 Prozent im Vergleich zu 2018, was die Konventionen betrifft. Die Zahl war unter Frau Ministerin Nagel extrem reduziert worden. Wir haben aber festgestellt, dass es bei den einzelnen Kulturakteuren einen großen Bedarf an Planungssicherheit gibt, etwa was das Personal betrifft. Wir haben deshalb wieder den Weg eingeschlagen, verstärkt Konventionen auszuarbeiten, es sind Ende Juni insgesamt 125.

Luxemburger Wort: Eine Neuerung, die Sie durchgesetzt haben ist die Umwandlung von fünf Kulturinstitutionen (Trois C-L, Casino, Mudam, TNL und Rotondes) in "Établissements publics". Das Gesetz wurde bereits in der Chamber gestimmt. Was bedeutet das genau? Wieso dieser Schritt?

Sam Tanson: Das ist eine feste Verankerung von Institutionen, die im Moment als asbl funktionieren. Dabei geht es um die Frage, ob etwas eine nationale Bedeutung hat - und über den rein assoziativen Bereich hinausgeht. Diese fünf Häuser haben nationale Aufgaben, sei es das Casino, das Mudam oder die Rotondes. Hervorzuheben ist neben dem Trois C-L, das beim Tanz eine Vorreiterrolle spielt, das TNL, dessen Gründung nicht auf eine staatliche Initiative zurückgeht, denn Fränk Hoffmann hat das Haus gegründet - das war wirklich auf seine Initiative, er hat es aber mit der damaligen Kulturministerin abgesprochen. Er hat sich das "national" in den Namen geschrieben und hat jede Menge gemacht, damit es auch wirklich seine Daseinsberechtigung hat. Die Gebäude gehören dem Staat. Beim TNL konnten wir das Nachbarhaus kaufen, um das Projekt auszuweiten. Das gilt in gleicher Weise für die Rotonden, die zweite wird nun in Stand gesetzt. Das heißt, es sind im Grunde staatliche Institutionen - wir wollten das hier mit Nachdruck unterstreichen -, die dadurch eine feste Struktur bekommen.

Luxemburger Wort: In Ihre Amtszeit fiel auch ein europäisches Kulturhauptstadtjahr Esch2o22. Sind Sie der Meinung, dass Esch2o22 partizipativ genug war in dem Sinne, dass eine breite Bevölkerung erreicht und eingebunden wurde? War die Symbiose von Kunst und Kommerz, wie sie im Rahmen von Esch2o22 stattgefunden hat, aus Ihrer Sicht gelungen?

Sam Tanson: Also für den ersten Teil, was Partizipation anbelangt, das war ja eins von den Hauptakzenten von Esch2o22 - außer vielleicht bei der Eröffnung, wegen des offiziellen Charakters -, auf kleinere Events zu setzen, die näher an den Bürgern sind. Da waren ein paar Projekte, die extrem gut funktioniert haben und die vielleicht keine riesige Sichtbarkeit hatten, die aber Erfolg hatten, die die Menschen angesprochen haben.

Luxemburger Wort: Können Sie da ein Beispiel nennen?

Sam Tanson: "De roude Fuedem" war solch eine Initiative. Es gab auch eine ganze Reihe von Aktionen von Richtung 22, die durch Esch gezogen sind und probiert haben Leute einzubinden, wo sie auch mit der Aktualität gespielt haben. Radio Ara hat durch die Kochsendung Radio Art Zone die Kultur zu den Leuten gebracht. Es wurde viel versucht, spezifische Interessen und ein anderes Publikum anzusprechen. Was die Verbindung zwischen Kommerz und Kultur anbelangt: Ich bin nicht der Meinung, dass man sich als Kultur der kommerziellen Seite komplett verschließen sollte; Kultur lebt auch durch Mäzenatentum. Ich finde nichts Negatives daran, wenn finanzielle Unterstützung durch Firmen kommt. Man muss nur aufpassen, dass das Kommerzielle nicht Überhand nimmt. Wenn eine Firma Lust hat Kultur zu unterstützen, dann sollte das befürwortet werden.

Luxemburger Wort: Dennoch hat gerade die FrEsch a.s.b.l, die einen Hauptteil dieser Institutionen verwaltet, jüngst für Schlagzeilen gesorgt - zuletzt durch den Umgang mit Kulturschaffenden aus dem BâtimentlV. Das Kulturministerium stellt FrEsch dieses Jahr eine halbe Million für den Unterhalt des Bridderhaus und der Konschthal zur Verfügung. Eine Jahresbilanz der Organisation liegt im Handels- und Firmenregister bis heute nicht vor. Ist das im Sinne der Transparenz?

Sam Tanson: Die Konvention ist rezent und wir wollen auf den Weg gehen, dass wir mit Esch einen Pacte culturel unterschreiben, das heißt, eine globale Konvention. Wir haben eine ganze Reihe an Konventionen, mit denen wir Escher Kulturinstitutionen momentan unterstützen. Eine Konvention mit dem Ministerium unterzeichnen heißt, eine ganze Reihe an Verpflichtungen zu erfüllen unter anderem auch die Bilanzen einzureichen. Das BâtimentlV fällt nicht unter die Konvention mit FrEsch asbl - diese bleibt limitiert auf die zwei Projekte, bei denen wir einen größeren regionalen Impakt sehen: die Konschthal, die eine super Arbeit macht, und das Bridderhaus, welches durch Künstlerresidenzen den Austausch zwischen Künstlern funktioniert. Ich habe nicht genug Informationen, um zu wissen, was im Bâtiment IV schiefläuft. Ich habe natürlich in der Presse gelesen, was der eine oder andere dazu sagt; ich bedauere diese schlechte Stimmung, weil ich gerade das, was dort versucht wurde, beeindruckend fand... Hier wurde ein selbstverwaltetes Projekt ausprobiert, unter der Mitführung der Gemeinde. Das ist ein Projekt, von denen es nicht viele in Luxemburg gibt. Ich würde es schade finden, wenn das scheitern würde. Natürlich sind da Findungsprozesse und es passieren auch Fehler. Die Grundidee dahinter ist extrem sympathisch; wo das Projekt gerade steht, weiß ich leider nicht.

Luxemburger Wort: Zum Stichwort: Inklusion. Es ist und bleibt ja eine große Frage, wie man Kultur zugänglich machen kann für alle Menschen. Der Kulturpass (1,50 Eintritt für sozial Schwache) ist ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein und möglicherweise ist dieser Pass auch stigmatisierend. Wie kann Kultur inklusiver werden?

Sam Tanson: Ich glaube nicht, dass der Kulturpass wirklich stigmatisiert. Es ist ein super Instrument und ich bin dankbar für jedes Kulturhaus, das darauf zurückgreift. Wir haben auch die Konvention mit Culture'all verstärkt, und auch da sind wir noch immer im Gespräch, um das Angebot noch auszubauen. Dann gibt es "Mir wellen iech ons Heemecht weisen", was eine tolle Initiative ist, durch die Leute angesprochen werden, die noch nicht lange hier sind. Ich konnte mir kürzlich in einem Flüchtlingsheim ein Bild hiervon machen. Die asbl hatte ein Projekt mit dem Künstler Rafael Gindt rund ums Graffiti gemacht. Hier konnte man sehen, wie wichtig es ist, es den Leuten nicht nur zu ermöglichen die Kulturinstitutionen zu besuchen, sondern Kultur auch in Institutionen zu bringen. Wir haben regelmäßig Projektaufrufe für inklusive Projekte, etwa für Haftanstalten, um Kultur in die Gefängnisse zu bringen. Ich war selten so berührt wie letztes Jahr in der Philharmonie bei der Vorstellung eines Projektes der Fondation EME, in dem Musikvideoclips mit Häftlingen gemacht wurden. Das Wichtigste jedoch ist der frühe Zugang zur Kultur. Je früher man mit Kultur in Kontakt kommt, desto einfacher bleibt es Kulturhäuser zu besuchen. Ziel muss es sein, Bildung und Kultur noch besser miteinander zu verbinden.

Luxemburger Wort: Zur Gemeindepolitik: Wie können Staat und Gemeinden besser zusammenarbeiten? Noch kocht jede Gemeinde in der Tat kulturell ihr eigenes Süppchen... Wie wollen Sie das ändern?

Sam Tanson: Eben durch die "Pactes cultureles" - wir sind im Ministerium auch gerade dran, an einer Bestandsaufnahme zu arbeiten um zu sehen: Was gibt es in den einzelnen Gemeinden? Um das auch regional zu verbessern. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass jede größere Gemeinde - so wie Esch das gemacht hat - einen Kulturentwicklungsplan braucht. Das, was wir auf nationalem Niveau gemacht haben, kann man auch auf kleinerer Ebene machen. Das erfordert keinen Riesenaufwand. Wenn die Gemeinden das für sich ausgearbeitet haben, können wir viel gezielter sehen, was man national noch benötigt.

Luxemburger Wort: Sie haben (im Juni 2022) eine "Charte de Déontologie" geschaffen, die maßgeblich den Umgang mit Kulturschaffenden definiert, etwa ihre angemessene Bezahlung. Mehr als 123 Kultureinrichtungen haben diese bis dato unterzeichnet. Trotzdem bestehen - laut Angaben aus dem Sektor - Ungleichheiten und es gibt Sexismus auf der Bühne. Bedarf es da nicht stärkerer Sanktionsmechanismen?

Sam Tanson: Bei den Sanktionsmechanismen greift der normale rechtliche Rahmen. Was wir im Moment im Justizministerium ausarbeiten, und da sind wir auch gut weitergekommen: Wir sind mit allen Institutionen im Austausch gewesen, die auf dem Niveau gegen sexuelle Gewalt aktiv sind, um zu schauen, was braucht es noch: Braucht es eine nationale Anlaufstelle, um vor sexueller Gewalt zu schützen? Natürlich gibt es darüber hinweg auch in anderen Bereichen Ängste - und das haben wir auch bei den "Assises Culturelles" gehört, dass, wenn Kulturschaffende gegen eine schlechte Behandlung vorgehen wollen, sie fürchten von dieser Institution keine Aufträge mehr zu bekommen. Deswegen haben wir auf verschiedenen Ebenen gearbeitet, erstens mal die Charte de Déontologie, dann die Federationen mit Konventionen gestärkt... Das Hauptanliegen der Charte war an sich die Bezahlung der Künstler. In der Pandemie hat sich dazu die die Frage gestellt, was passiert, wenn ein Vertrag von heute auf morgen gekündigt wird? Wir versuchen, Künstlern einen besseren Rahmen zu geben, um sie zu schützen.

Luxemburger Wort: In Deutschland gab es im Zusammenhang mit Außenministerin Annalena Baerbock eine Polemik rund um das Schlagwort "feministische Außenpolitik"...

Sam Tanson: Das ist mittlerweile ein gängiger Begriff. Wir haben das auch in unserem Koalitionsabkommen stehen.

Luxemburger Wort: Würden Sie sich als feministische Kulturministerin bezeichnen?

Sam Tanson: Da ich eine überzeugte Feministin bin - wir Frauen stellen 50 Prozent der Menschheit und es ist wichtig, dass Frauen Sichtbarkeit bekommen im öffentlichen Leben, also auch im Kulturbereich -, hat alles, was ich mache, auch einen feministischen Hintergrund. Was kann ich bewirken? Bei der Nominierung der Verwaltungsräte, indem ich auf die paritätische Besetzung achte. Wir haben auch in der "Charte de Déontologie" stehen, dass die Institutionen Wert auf Chancengleichheit legen. Es gab in den letzten Jahren sehr viele Theaterstücke, die sich um frauWillenspezifische Probleme gedreht haben. Das wird extrem viel im Kulturbereich diskutiert, und das ist auch gut so. Es gibt im Jahr 2023 keine Ausrede mehr für diskriminierendes Verhalten gegenüber Frauen.

Luxemburger Wort: Was lesen Sie im Urlaub?

Sam Tanson: Ich gehe immer zu einem ganz lieben Buchhändler hier um die Ecke und schaue mir die Neuerscheinungen an. Ich habe mir allerdings vorgenommen, erst wieder ein Buch zu kaufen, wenn mein Stapel abgearbeitet ist. Ein Buch, von dem ich mir fest vorgenommen habe, es diesen Sommer fertig zu lesen, ist Jérôme Quiquerets "Tout devait disparaître", der Prix Servais von diesem Jahr, das sehr vielversprechend beginnt.

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