Interview von Sam Tanson im Lëtzebuerger Journal

"Immer im Dialog"

Interview: Lëtzebuerger Journal (Simone Molitor)

Lëtzebuerger Journal: Frau Tanson, vom Kulturentwicklungsplan hat man seit dem ersten KEP-Workshop im März 2019 nicht viel gehört, obwohl hinter den Kulissen natürlich daran gearbeitet wird. Welche Mannschaft ist nun eigentlich mit dieser Aufgabe befasst?

Sam Tanson: Auch wenn es nach außen hin nicht so sichtbar ist, wir haben in der Tat bereits sehr viel an der Umsetzung der verschiedenen Maßnahmen gearbeitet. Jo Kox leitet und koordiniert das Ganze, an sich ist aber das ganze Ministerium im Einsatz, und auch der Sektor ist eng eingebunden. Dieser Austausch ist im Kulturministerium im Allgemeinen extrem wichtig. Die einzelnen Punkte des KEP werden zusammen diskutiert und abgearbeitet. Genauso war das Vorgehen nun auch während der Krise. Es wurde darauf geachtet, dass die Maßnahmen, die wir genommen haben, auch in der Praxis ankamen. Das kann nur im Dialog mit den Leuten vom "Terrain" funktionieren.

Lëtzebuerger Journal: Bei der Vorstellung des KEP wurde ja auch gleich gesagt, es gehe nicht darum, von oben herab zu diktieren.

Sam Tanson: Das ist sowieso nicht meine Arbeitsmethode. Es ist nicht meine Art, zu glauben, ich hätte die ganze Wahrheit für mich gepachtet. Auf den Kulturentwicklungsplan trifft das noch weit mehr zu, schließlich setzen wir den ganzen Rahmen ja wirklich für die Kulturschaffenden, sie müssen mit den Instrumenten leben können, die wir auf den Weg bringen. Da muss alles funktionieren. Der Kultursektor ist in ganz unterschiedliche Bereiche eingeteilt, genauso unterschiedlich sind demnach auch die Bedürfnisse. Deshalb ist dieser Austausch so. wichtig.

Lëtzebuerger Journal: Im KEP wurden 62 Empfehlungen ausgearbeitet. Wird tatsächlich an diesen festgehalten?

Sam Tanson: Wir arbeiten an diesen Empfehlungen, ebenso aber auch an Elementen, die im KEP nicht so zum Vorschein gekommen sind. Ein Beispiel wären die Regionalbibliotheken, die keinen richtigen Platz im KEP hatten. Es ist nicht alles in Stein gemeißelt, immerhin handelt es sich um ein Programm für zehn Jahre, das also von 2018 bis 2028 umgesetzt werden soll. Bei 45 der vorgeschlagenen Maßnahmen sind wir bereits gut vorangekommen, manche haben wir sogar schon abgearbeitet, andere befinden sich in Ausarbeitung. Das Gesetz über den Denkmalschutz und das "Arts Council" sind zwei prominente Beispiele.

Lëtzebuerger Journal: Das Denkmalschutzgesetz ließ in der Tat lange auf sich warten.

Sam Tanson: Das stimmt, das aktuelle Gesetz stammt von 1983. Über die letzten Monate sind jetzt alle Gutachten bei uns eingegangen und bearbeitet worden. Das wichtigste war jenes des Staatsrats. Wir arbeiten gerade die Änderungsanträge aus, sodass ich im Herbst damit in die Chamberkommission gehen kann. Im Idealfall könnte das Gesetz noch in diesem Jahr gestimmt werden.

Lëtzebuerger Journal: Können Sie die wichtigsten Änderungen kurz beschreiben?

Sam Tanson: Die Rechtssicherheit ist das wichtigste Element. Das Gesetz bezieht sich ja auf mehrere Bereiche des Patrimoniums: das architektonische Erbe, das archäologische Erbe, das bewegliche Erbe ("patrimoine mobilier") und das immaterielle Erbe. Was das architektonische Erbe anbelangt, so sind wir dabei, Inventare aufzustellen, die dann auch eine legale Basis bekommen werden. In jeder Gemeinde wird erfasst, welche Gebäulichkeiten national schützenswert sind. Dabei wird immer nach den gleichen Kriterien vorgegangen., Das bringt letztlich eine viel größere Homogenität in den Denkmalschutz in Luxemburg und verhindert, dass wir erst gerufen werden, wenn gerade etwas abgerissen wird. Bezüglich des "Patrimoine archéologique" halten wir das im Gesetz fest, was eigentlich jetzt schon die Praxis ist. Wenn man heute auf einer Baustelle auf archäologische Überreste stößt, werden die Arbeiten sofort gestoppt, und wir werden kontaktiert. Viele Bauherren wissen jetzt schon, dass sie Interesse daran haben, das Gelände vorher vom "Centre national de recherche archéologique" (CNRA) sondieren zu lassen, um einen späteren Baustopp zu verhindern. Das soll nun laut Gesetz zur Regel werden. Was das "Patrimoine mobilier" betrifft, so wird definiert, welche Objekte nicht exportiert werden können. Und dann bekommt schließlich auch noch der ganze Bereich "Patrimoine immatériel" - darunter fallen "Schueberfouer", Springprozession oder sonstige Brauchtümer - einen gesetzlichen Rahmen.

Lëtzebuerger Journal: Mit besonderer Spannung wird aber das famose "Arts Council" erwartet. Wie ist diesbezüglich der Stand der Dinge?

Sam Tanson: Dieses Projekt ist ein weiteres Beispiel für das partizipative Zusammenarbeiten, das ich schon angesprochen habe. Die Arbeiten im "Comité de suivi", das wir nach den letzten "Assises" aus Vertretern der verschiedenen Sparten zusammengesetzt hatten, sind abgeschlossen. Der Gesetzesvorentwurf zur Schaffung eines "Etablissement publique" ist in der Ausarbeitung. Um jetzt weiterzukommen, werden wir zuerst eine "ASBL de préfiguration" ins Leben rufen (Anm. d. Red.: der Regierungsrat hat diesem Vorhaben am Donnerstag grünes Licht erteilt). Diese wird den ganzen Aufbau vorantreiben, damit wir das Gesetz für die öffentliche Einrichtung auf den Instanzenweg bringen können. Das dauert ja dann auch wieder etwas länger. Wir haben inzwischen auch einen Namen. Es war mir wichtig, nicht bei diesem Anglizismus "Arts Council" hängenzubleiben. Wir haben uns auf Kultur:LX geeinigt, mit dem Untertitel "Arts Council", damit auch im Ausland deutlich wird, worum es bei dieser Struktur geht. Das Musikexportbüro music:LX kennt man ja bereits. Dieses wird in Kultur:LX integriert, genau wie andere Sparten, die man dann in Abteilungen wie Theater:LX, Tanz:LX, Literatur:LX und so weiter unterteilen kann.

Lëtzebuerger Journal: Kultur:LX soll demnach zu einer zentralen Anlaufstelle für den ganzen Sektor werden. Mit welchen Missionen?

Sam Tanson: Eine erste Mission ist ganz klar der Export der Künstler. In einem kleinen Land wie Luxemburg ist das vielleicht noch wichtiger als in anderen Ländern, die einen eigenen Markt haben. Es ist essentiell für unsere professionellen Künstler, auch über die Grenzen hinaus eine Karriere aufbauen zu können. Hier stößt man doch relativ schnell an die Grenzen des Publikums, das man erreichen kann. Eine weitere ebenso wichtige Mission zielt auf den Aufbau von Karrieren ab. Es geht darum, Künstler auf diesem Weg zu begleiten. Um sie nach außen hin fördern und bewerben zu können, brauchen sie einen professionellen Kontext. Die Vergabe von Stipendien und Künstlerresidenzen wird ebenfalls zu den Aufgaben von Kultur:LX gehören. Bereits jetzt haben wir gute Kollaborationen im Ausland und sind beispielsweise bei Festivals in Avignon, Venedig oder Arles präsent. Das wird künftig alles in Zusammenarbeit mit Kultur:LX passieren.

Lëtzebuerger Journal: Geht es also hauptsächlich darum, die Künstler ins Ausland zu bekommen?

Sam Tanson: Diese Promotion nach außen ist definitiv eine wichtige Mission. Eine solche Arbeit wird übrigens heute schon von vielen Häusern in eigener Sache geleistet.

Myriam Müller hat beispielsweise jetzt mit ihrem, Stück "Breaking the Waves", das im Großen Theater aufgeführt wurde, viele Auftrittsmöglichkeiten im Ausland bekommen, was letztlich darauf zurückzuführen ist, dass Tom Leick als Direktor der städtischen Theater: mit` den richtigen Kontakten die Dinge in die Hand genommen hat So funktioniert es im Moment. Wir müssen nun dafür sorgen, dass unsere ganze Szene von solchen Möglichkeiten,' profitieren kann, deshalb wollen wir diese Arbeit professionalisieren. Sie nimmt ja auch viel Zeit und Energie in Anspruch. Eine. Institution, die dies im kulturellen Bereich leistet, kann nur von Vorteil sein. Solche Exportagenturen gibt es ja auch für den Tourismus oder die Finanzen. Viele Länder haben mittlerweile eine Agentur, die sich für ihre Künstler im Ausland einsetzt.

Lëtzebuerger Journal: Gerade die "Theater Federatioun" hatte sich aber anfangs etwas skeptisch gezeigt, weil "alles in einen Topf geschmissen" werden soll.

Sam Tanson: Ich habe die Sorge damals so verstanden, als würden sie befürchten, dass alles miteinander vermischt werden würde und einzelne Personen über alles entscheiden würden. So soll es wirklich nicht sein. Es wird ein Verwaltungsrat ernannt, der sich aus staatlichen Vertretern sowie Vertretern der einzelnen Sektoren zusammensetzen wird. Die staatlichen Vertreter überwiegen mit einer Person, weil es schließlich eine zu hundert Prozent vom Staat finanzierte Institution ist. Jede Sparte bekommt eine eigene Abteilung. Es wird also keineswegs alles miteinander vermischt, und es sind auch nicht immer die gleichen Leute, die über die Vergabe von Fördermaßnahmen entscheiden. Das fällt auch nicht in den Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsrats, sondern obliegt den jeweiligen "Comités de sélection". Genauso wird es ja beispielsweise im Focuna gehandhabt.

Lëtzebuerger Journal: Das bedeutet ja, dass eine riesige Mannschaft in diesem "Etablissement publique" tätig sein wird?

Sam Tanson: Wir bauen das jetzt nach und nach auf. Music:LX gibt es ja schon. Auf diese langjährige Erfahrung können wir sofort zurückgreifen. Damit ist bereits ein großer Sektor abgedeckt. Die anderen Sektoren kommen Schritt für Schritt dazu. Von heute auf morgen lässt sich das natürlich nicht komplett aufbauen, immerhin hat music:LX elf Jahre gebraucht, um jetzt richtig gut aufgestellt zu sein. Ein nächster Schritt ist die Ernennung eines Direktors, der das Ganze begleitet und mitaufbaut. Jetzt, da der Regierungsrat der "ASBL de préfiguration" sein OK erteilt hat, wird sich diese um die Rekrutierung eines Verantwortlichen kümmern.

Lëtzebuerger Journal: Wie unabhängig wird Kultur:LX denn sein? Wird die Institution in Big-Brother-Manier vom Kulturministerium überwacht?

Sam Tanson: Nein, aber es liegt natürlich auf der Hand, wie das bei öffentlichen Einrichtungen nun einmal so ist, dass der Minister eine politische Verantwortung hat. Wenn es zu gravierenden Missständen kommt oder irgendetwas nicht funktioniert, dann ist der zuständige Minister verantwortlich. Es geht aber überhaupt nicht darum, sich ins Alltagsgeschäft einzumischen. Die Unabhängigkeit, was verschiedene Verteilungsmechanismen anbelangt, wird sogar noch größer, als dies heute der Fall ist, wo ich noch unter vieles meine Unterschrift setzen muss. Das wird später nicht mehr so sein, verschiedene Hilfen werden wirklich über Kultur:LX verteilt.

Lëtzebuerger Journal: Ein Teil der Subventionspolitik bleibt dennoch weiterhin in der Hand des Kulturministeriums?

Sam Tanson: Natürlich, schließlich ist nicht der ganze Kultursektor professionell, das darf man nicht vergessen. Es gibt viele Nicht-Professionelle, die ein wichtiger Teil unseres kulturellen Zusammenlebens sind. Sie begleiten wir auch weiterhin. Hinzu kommen die ganzen Konventionen mit Vereinigungen, Föderationen, Institutionen und regionalen Kulturhäusern. Auch hier wird das Kulturministerium weiterhin seine Rolle spielen.

Lëtzebuerger Journal: Apropos Subventionspolitik, eine neue Ausrichtung war ebenfalls während der "Assises culturelles" gefordert worden, genau wie die Einführung einer "TVA culturelle"...

Sam Tanson: Dem sind wir Anfang des Jahres nachgekommen, indem wir auf Basis der EU-Direktive die reduzierte Mehrwertsteuer eingeführt haben und zwar in den Bereichen, wo es möglich ist. Das bezieht sich auf die Dienste der "artistes-interprètes". Dieser "taux super-réduit" ist nur in den Bereichen applizierbar, für die es eine legale Basis auf europäischer Ebene gibt.

Lëtzebuerger Journal: Davon ausgeschlossen sind folglich beispielsweise Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildner sowie Regisseure, was doch zu Kritik führte.

Sam Tanson: Ich verstehe die Kritik durchaus, wir müssen uns aber nun einmal an den europäischen Rahmen halten, und ich bin grundsätzlich froh, dass wir in einem Europa leben, in dem es einheitliche Regeln gibt.

Lëtzebuerger Journal: Diese verhindern aber nicht, dass verschiedene Kulturschaffende große finanzielle Probleme haben. Was wollen Sie diesbezüglich unternehmen?

Sam Tanson: Ich bin mir dessen voll bewusst. Gerade jetzt während der Krise hat man deutlich gesehen, wie fragil der Sektor ist. Die meisten freischaffenden Künstler leben von Projekt zu Projekt. Fallen Projekte weg, haben sie kein Einkommen. Aus diesem Grund haben wir das Gesetz bezüglich des Statuts des "Intermittent du spectacle" und des freischaffenden Künstlers angepasst. Daran arbeiten wir auch weiterhin. Um frei arbeiten, denken und kreativ sein zu können, brauchen Künstler eine gewisse Stabilität und finanzielle Sicherheit. Ich werde noch in diesem Jahr entsprechende Vorschläge vorbringen.

Lëtzebuerger Journal: Wie groß ist die Unsicherheit momentan im Kultursektor?

Sam Tanson: Natürlich herrscht eine gewisse Unsicherheit, so wie in der gesamten Bevölkerung. Niemand weiß, wie es weitergeht, niemand kennt das Virus richtig. Ich bin der festen Meinung, dass wir lernen müssen, damit zu leben. Was nun den Kultursektor anbelangt, so gibt es natürlich auch Existenzängste, und wir müssen alles daran setzen, dass ehiet Ängste, nicht zur Realität werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen. Die große Solidarität im Kultursektor während der letzten Monate hat mir sehr gut gefallen. Größere Häuser haben kleineren Häusern die Türen geöffnet, Künstler haben gemeinsam etwas auf die Beine gestellt, der Austausch war enorm, verschiedene Verbände haben eng zusammengearbeitet... Darauf müssen wir aufbauen.

Lëtzebuerger Journal: Um abschließend noch einmal auf den Kulturentwicklungsplan zurückzukommen. 45 Empfehlungen befinden sich also bereits in Ausarbeitung. Nun hatte Jo Kox aber bei der Vorstellung gesagt, um alle 62 Empfehlungen in zehn Jahren umsetzen zu können, müsste das Kulturbudget schon auf zwei oder sogar drei Prozent angehoben werden.

Sam Tanson: (lacht) Bei zwei oder drei Prozent sind wir zwar nicht, dennoch wurde das Kulturbudget für dieses Jahr ein gutes Stück erhöht. Darüber bin ich sehr froh, weil es zeigt, dass die Wichtigkeit der Kultur vom Finanzministerium anerkannt wurde. Auch während der Krise fanden wir ein offenes Ohr. Ohne diese Flexibilität hätten wir kein Maßnahmenpaket über fünf Millionen Euro zur Verfügung stellen können. Allerdings mache ich mir jetzt Sorgen für nächstes Jahr. Die Situation ist schließlich jetzt eine ganz andere. Im September stehen die Budgetären Verhandlungen an. Die Kultur ist wirklich einer der Sektoren, die am meisten gelitten haben, deshalb darf das Budget meiner Meinung nach auf keinen Fall zurückgefahren werden. Besonders in den Bereichen, in denen es um die Künstler geht, muss das Niveau beibehalten werden. Unsere staatlichen Kulturinstitute sind ganz verständnisvoll, sie haben sich bei ihren budgetären Vorschlägen damit einverstanden erklärt, zum Niveau von 2019 zurückzukehren. Wir können aber nicht wieder alle Konventionen kürzen, sonst würden wir in Kauf nehmen, dass Arbeitsplätze gestrichen oder weniger Projekte realisiert werden, was ja auch wieder einen Einfluss auf die Einnahmen hätte.

Lëtzebuerger Journal: Noch eine letzte Frage: Im KEP 0.1 war die Schaffung eines Kulturministeriums "nouvelle génération" angeregt worden. Wie steht es damit?

Sam Tanson: Auch das ist in Arbeit. Es gibt eine ganze Reihe an Instrumenten, die man nutzen kann, um eine Verwaltung zu modernisieren. Jo Kox und das Team werden von Spezialisten aus der "Fonction publique" in einem ganzen Prozess begleitet, um die Schwächen und Stärken unseres Betriebs zu beleuchten und zu überlegen, wie wir uns noch besser aufstellen können. Ich muss sagen, die Mannschaft hier ist unglaublich motiviert, das ist wirklich großartig. Alle sind sich der Tatsache bewusst, dass sie für die Kulturszene arbeiten

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