Interview von Sam Tanson mit dem Luxemburger Wort

"Vor dem nächsten Sprung"

Interview: Marc Hoscheid (Luxemburger Wort)

Luxemburger Wort: Sam Tanson, Sie sind seit rund neun Monaten Ministerin. Wie gut haben Sie sich in Ihrem neuen Amt bereits eingewöhnt? 

Sam Tanson: Ganz gut. Es geht alles so schnell, dass man eigentlich keine Zeit hat, lange darüber nachzudenken. Man versucht, bestimmte Bezugspunkte zu finden und Entscheidungen zu treffen, damit das eigene Projekt Realität wird. 

Luxemburger Wort: Mussten Sie lange überlegen, ob Sie das Amt annehmen, als es Ihnen angeboten wurde? 

Sam Tanson: Nicht wirklich. Ich sah mich in der Pflicht, das Angebot anzunehmen, weil ich als Spitzenkandidatin bei den Wahlen angetreten war. Dass ich nur schwer würde ablehnen können, war mir sofort nach den Wahlen klar, auch mit Blick auf mein persönliches Ergebnis. Zudem bin ich der Meinung, dass es noch immer zu wenig Frauen in solchen Spitzenpositionen gibt. Ganz einfach ist mir die Entscheidung aber dennoch nicht gefallen, denn ich habe zwei kleine Kinder und eine solche Aufgabe bedeutet einen großen Einschnitt ins Privatleben, da ich nun weniger Zeit für sie habe. Das war schon ein großer Brocken.

Luxemburger Wort: Ist es Ihnen nicht schwergefallen, Ihr Mandat in der Chamber aufzugeben? 

Sam Tanson: Ich fand die Arbeit im Parlament sehr interessant, vor allem meine Tätigkeit als Vorsitzende der Justizkommission. In dieser Zeit konnte ich noch einige sehr wichtige Gesetzestexte als Berichterstatterin auf deren Endspurt begleiten. Ich war allerdings nicht lange genug dort, um mich mit einer Träne im Knopfloch von dort verabschieden zu können.

Luxemburger Wort: Warum ausgerechnet das Kulturministerium? Ursprünglich kommen Sie ja nicht aus diesem Bereich. 

Sam Tanson: Das stimmt, ich habe nie im kulturellen Bereich gearbeitet. Aber Kultur ist seit der Jugend ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Als Kind habe ich unglaublich gerne gelesen, teilweise sogar heimlich, weil ich eigentlich bereits schlafen sollte. Über ein Buch als Weihnachtsgeschenk habe ich mich immer am meisten gefreut. Mit meinem Vater bin ich zudem oft in Museen gegangen. Wenn auch als Kind etwas widerwillig, bin ich rückwirkend doch ganz dankbar dafür. 

Luxemburger Wort: Ist das Kulturministerium also in gewisser Weise ein Ausgleich für das Wohnungsbauministerium? 

Sam Tanson: Nein, ganz sicher nicht. Ich brauche da keinen Ausgleich. Im Gegenteil, ich merke immer öfter dass die beiden Thematiken, obwohl sie sehr unterschiedlich sind, doch viele Überschneidungen haben.

Luxemburger Wort: Mit Blick auf die aktuelle luxemburgische Kulturszene, was sind die großen Stärken und wo muss der Hebel noch angesetzt werden?

Sam Tanson: Die hiesige Kulturszene hat in letzter Zeit riesige Sprünge gemacht. Dies 1995 und 2007. In diesen beiden Jahren war Luxembur jeweils europäische Kulturhauptstadt. 1995 wurde vor allem die alternative Szene gestärkt, damals entstand ja auch das Casino. Nach 2007 hat sich auch noch einmal sehr viel getan. So sind beispielsweise die Rotonden entstanden. Wir haben mittlerweile viele Künstler, die absolut professionell arbeiten und deren Werke auch im Ausland Anklang finden.

Luxemburger Wort: Kultur ist ein ziemlich stark subventionierter Bereich, ist es für Sie als Ministerin ein Balanceakt zwischen der Verwaltung öffentlicher Gelder und der Kunstfreiheit des jeweiligen Künstlers? 

Sam Tanson: Das ist kein Spagat, denn es ist nicht die Aufgabe des Ministeriums, den Künstlern Vorschriften zu machen. Was die finanzielle Unterstützung betrifft, so erhalten wir jedes Jahr viele Anfragen, von denen auch die meisten unterstützt werden. Die Auswahl erfolgt nach objektiven Kriterien. Vorzugsweise arbeiten wir mit Organisationen zusammen, in denen wir bereits positive Erfahrungen gemacht haben. In diesen Fällen schließen wir auch schon mal Konventionen über mehrere Jahre ab, damit diese auch eine gewisse Planungssicherheit haben. 

Luxemburger Wort: Kultur aus Luxemburg ist nicht gleichzusetzen mit Kultur auf Luxemburgisch. Die Regierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, sich für die luxemburgische Sprache einzusetzen, ist in diesem Rahmen geplant, Literatur auf Luxemburgisch stärker zu fördern? 

Sam Tanson: Nein. Luxemburg ist ein multikulturelles Land mit vielen Sprachen, von denen keine bevorzugt wird. Wir sind es gewohnt, uns in vielen Sprachen zu unterhalten. Das Luxemburgische ist momentan auch ohne zusätzliche Förderung stark im Literaturbetrieb vertreten. 

Luxemburger Wort: Stichwort Filmindustrie, hier hat sich in Luxemburg eine Branche entwickelt, die auch im Ausland Beachtung findet. Wird man diese auch zukünftig fördern? 

Sam Tanson: Auch wenn Premierminister Xavier Bettel (DP) hauptsächlich für die Filmindustrie verantwortlich ist, so halte ich deren Weiterentwicklung natürlich dennoch für wichtig. Dieses Beispiel zeigt was passiert, wenn man einen Wirtschaftsbereich gezielt fördert. Xavier Bettel hat ja auch bereits angekündigt, dass zusätzliche Mittel bereit gestellt werden sollen. 

Luxemburger Wort: Die meisten Filme sind Koproduktionen mit ausländischen Studios. Steckt in diesen Filmen tatsächlich so viel Luxemburg, wie drauf steht? 

Sam Tanson: Was heißt das? 

Luxemburger Wort: Man könnte sie ja auch als Mogelpackung bezeichnen, oder? 

Sam Tanson: Nein, das sind doch keine Mogelpackungen! Die Filmindustrie besteht ja nicht nur aus den Regisseuren und Schauspielern, sondern auch aus denen, die im Hintergrund mitwirken. Ein Teil der Arbeit wird bei diesen Filmen immer in Luxemburg geleistet, sonst wären es keine Koproduktionen.

Luxemburger Wort: Esch 2022 wirft seinen Schatten voraus. Was bringt das Kulturjahr Luxemburg denn eigentlich? 

Sam Tanson: Wie ich bereits vorhin gesagt habe, zeigen die Jahre 1995 und 2007, dass einem Kulturjahr immer eine Entwicklung folgt. Ein Effekt ist die Professionalisierung der Szene. Menschen ist klar geworden, dass Künstler tatsächlich ein Beruf ist. Zudem werden neue Institutionen geschaffen. Hinzu kommt, dass sich die Stadt Esch und die gesamte Region darum in den letzten Jahren wirtschaftlich enorm entwickelt haben und jetzt besteht die Möglichkeit, einen kulturellen Aspekt hinzuzufügen. Das Projekt reicht zudem über Luxemburg hinaus, denn es gibt eine Zusammenarbeit mit den französischen Grenzgemeinden, was dem internationalen Charakter der Region gerecht wird. Die Kulturhauptstadt Esch soll auch Hemmschwellen abbauen und Menschen für Kultur gewinnen, die bis dato nicht so viel damit anfangen konnten. 

Luxemburger Wort: Die Verantwortlichen für das Projekt wurden relativ schnell ausgewechselt, wurden im Vorfeld politische Fehler gemacht? 

Sam Tanson: Ich kann das nicht beurteilen, da ich damals nicht dabei war. Ich kann nur feststellen, dass es jetzt ganz gut funktioniert und wir eine dynamische Mannschaft haben. Die Phase für das Einsenden von Projektvorschlägen ist am 31. Juli abgelaufen, sodass diese jetzt auch analysiert werden können. Es wird gearbeitet und das Projekt läuft. Ich bin da zuversichtlich.

Luxemburger Wort: Hat es denn wirklich überhaupt keine negativen Nachwehen nach dem Führungswechsel gegeben? 

Sam Tanson: Es ist natürlich immer unglücklich, wenn es so ein Hin und Her gibt und etwas negativ konnotiert ist Aber irgendwann muss dann auch Schluss sein und in die Zukunft geblickt werden. Wir können es uns als Luxemburg schlicht nicht erlauben, auch mit Blick auf unsere europäischen Partner, ein Kulturjahr zu organisieren, das kein Erfolg wird. 

Luxemburger Wort: Unabhängig von Esch 2022 soll ein nationales Zentrum für industrielle Kultur die Kulturlandschaft im Süden bereichern. Wie ist dort der Stand der Dinge? 

Sam Tanson: Es läuft sehr gut. Im September werden wir alle Akteure an einen Tisch bringen. Es scheint immer mehr Menschen klar zu werden, dass wir unser industrielles Erbe wertschätzen müssen. Trotzdem muss in diesem Bereich noch pädagogische Arbeit geleistet werden. Darüber hinaus geht es darum, die bestehenden Standorte miteinander zu vernetzen und weitere schützenswerte zu bestimmen. 

Luxemburger Wort: Dass die Hauptstadt über eine ganze Reihe kultureller Einrichtungen, vor allem Museen, verfügt, ist bekannt. Nun wird auch die Region um Esch aufgewertet. Doch was ist mit anderen Regionen, vor allem dem Norden des Landes, wird dieser nicht ein Stück weit vernachlässigt? 

Sam Tanson: Es ist ganz wichtig, dass wir die Kultur regional betrachten. Wir haben jetzt eine Person im Ministerium, die sich ausschließlich damit beschäftigt, eine Bestandsaufnahme durchzuführen, welche kulturellen Angebote in jeder einzelnen Gemeinde existieren und so herauszufinden, wo noch Nachholbedarf besteht. Man muss aber auch sagen, dass bereits jetzt regionale Kulturzentren existieren, auch im Norden, die eine sehr gute Arbeit machen. Deswegen haben wir auch alle Konventionen erhöht. Diese arbeiten auch in einem Netzwerk zusammen. Es ist wichtig, dass die Menschen Kultur in ihrer Nähe erleben können und nationalen Künstlern eine Plattform geboten wird. Alles in allem glaube ich, dass wir bereits jetzt über ein gutes flächendeckendes Kulturangebot verfügen.

Luxemburger Wort: Als Wohnungsbauministerin sind Sie für den Denkmalschutz verantwortlich. Wurde dort in der Vergangenheit nicht viel verschlafen? 

Sam Tanson: Das Problem ist, dass das aktuelle Gesetz aus dem Jahr 1983 stammt. Seitdem ist viel passiert, wir haben beispielsweise viele internationale Abkommen ratifiziert. Das neue Gesetz befindet sich auf dem Instanzenweg, im September werde ich es in der zuständigen Chamberkommission präsentieren. Wir benötigen eine größere Rechtssicherheit. So wird es eine einfachere Prozedur im Bereich der Archäologie geben. Wenn bei einem Grundstück die Freigabe durch das Centre national de recherche archéologique (CNRA) erforderlich ist, dann kann er zu jeder Zeit einen Antrag schicken. Wenn innerhalb eines Monats keine Antwort erfolgt, gilt dies als Zustimmung. Was die schützenswerten Gebäude angeht, wird vom Service des sites et monuments für jede einzelne Gemeinde ein Inventar erstellt. Diese Entscheidung basiert auf 14 im Gesetz fixierten Kriterien. Ist dieses Inventar beendet, dann haben die Bürger noch die Möglichkeit, sich dazu zu äußern. Nach dem Abschluss dieses Prozesses, wird ein großherzogliches Reglement erstellt. Diese Inventare sollen alle zwanzig Jahre auf ihre Aktualität hin überprüft werden. Wir rechnen allerdings damit, dass diese Arbeiten mindestens zehn Jahre dauern werden. Aktuell liegen erst für Fels und Helperknapp komplette Listen vor, in Mersch stehen die Arbeiten kurz vor dem Abschluss. Bis dahin läuft die aktuelle Prozedur mit einigen Modifizierungen weiter.

Luxemburger Wort: Ist es nicht aber doch sehr unglücklich, wenn, wie beispielsweise bei zwei alten Bauernhäusern in Heinerscheid, die Bagger bereits zum Abriss bereitstehen und erst in letzter Sekunde ein Antrag auf Denkmalschutz eingereicht wird? Besonders angesichts der Tatsache, dass in Luxemburg Wohnungsnot herrscht.

Sam Tanson: Ich finde, dass man das Schaffen von Wohnraum und Denkmalschutz nicht gegeneinander ausspielen sollte. Auch wenn wir unser Land weiterentwickeln, sollten wir dennoch unsere Identität behalten. Ich weiß nicht wie Sie das sehen, aber ich gehe immer gerne durch Dörfer oder Stadtkerne, in denen noch viel alte Architektur erhalten geblieben ist und eine gewisse Homogenität herrscht. Das schafft auch eine gewisse Lebensqualität. Zudem zeigen einige vom Fonds du logement realisierten Projekte, dass sich Wohnen und Denkmalschutz durchaus kombinieren lassen.

Luxemburger Wort: Im Kampf gegen die Wohnungsnot scheint die Enteignung als neues Allheilmittel entdeckt worden zu sein, oder? 

Sam Tanson: Nein. Es ist vor allem wichtig, dass der Staat an Grundstücke gelangt. Wir haben viele Flächen die auch ohne eine Änderung des Plan d'aménagement général (PAG) bebaubar wären. Eine Möglichkeit, die Besitzer zum Verkauf an den Staat zu bewegen, ist eine Erhöhung der Grundsteuer. Der Staat muss in meinen Augen vor allem bezahlbaren Wohnraum schaffen. Besonders bei den Mietwohnungen gibt es noch Luft nach oben.

Luxemburger Wort: Was werden Sie im Sommer unternehmen, um vom alltäglichen Stress zu entspannen? 

Sam Tanson: Luxemburg ist wunderschön, deswegen profitiere ich von der Zeit, mir hierzulande unterschiedliche Dinge, wie beispielsweise den Schiessentümpel, anzusehen. Da mein Vater in der Gironde im Südwesten von Frankreich wohnt, werde ich ihn mit meinen Kindern besuchen. Auch dort ist es wunderschön, dazu liegt die Region noch direkt am Meer. Dort können wir viel Fahrrad fahren und in Bordeaux sicherlich das ein oder andere Kulturelle erleben. 

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